Montag, 10. November 2014

Vom Leben zum Lernen: Über die Zusammenhänge von Lebensprozessen und Lernfähigkeit


Organisch wird der Mensch von der Geburt bis zum Tod durch die sieben Lebensprozesse, die Rudolf Steiner knapp skizziert hat, am Leben erhalten. Atmung, Erwärmung, Ernährung, Absonderung, Erhaltung, Wachstum und Reproduktion sind physische Vorgänge und Optionen, die lebenslang notwendig und existent sind und im besten Fall beim erwachsenen und gesunden Menschen routiniert und eher unbewusst ablaufen. Wie sieht es aber diesbezüglich bei Kindern aus? Haben wir auf die Etablierung der Lebensprozesse, die unmittelbar nach der Geburt eigenständig vollzogen werden müssen, einen Einfluss und dienen sie zu mehr als einem "funktionierenden Körper"?

Mit den Blicken von geschulten Pädagogen legen Gelitz und Stehlow ein fundiertes Grundlagenwerk über die sieben Lebensprozesse vor und gehen darin auf jeden einzelnen Prozess so ein, dass neben den leiblichen Vorgängen auch die seelischen und geistigen Zusammenhänge dargestellt werden.

„Damit das Kind gesund heranwächst, müssen die Lebensprozesse genauso wie auch die Sinne gepflegt werden“, so die Autoren. Das gesunde kindliche Heranwachsen führt zu der Möglichkeit, ein freier Erwachsener zu werden, der seine seelischen und geistigen Möglichkeiten bewusst ausschöpfen kann.

„Wie sicher die Seele die Welterscheinungen handhaben lernt, wie sie das, was ihr durch die zwölf Sinne entgegentritt, überhaupt interessiert aufnehmen und erinnern kann, wird von der Pflege der sieben Lebensprozesse bedingt.“

Alle sieben Lebensprozesse bedürfen der Beachtung, jeder einzelne birgt spezifische Möglichkeiten und Gefahren. Die beiden Autoren stellen dar, wie die organischen Prozesse ineinander greifen und wie sie sich im kindlichen Organismus entwickeln. Sie werden zwar nacheinander benannt, weisen auch eine gewisse Hierarchie auf, bilden aber gemeinsam das allgemeine Lebensprinzip ab, das sich zunächst physisch äußert, aber auch seelisch und im späteren Alter sogar geistig abbildet.

Mit der Atmung beginnt das menschliche Leben und durchzieht es von der Geburt bis zum Tod. Die Atmung vermittelt zwischen Außen und Innen. Die Erwärmung grenzt uns von unserer Umgebung ab, sie ist ein äußerst sensibles Gebilde, das im gesunden Zustand nur kleine Schwankungen erträgt. Über die Ernährung nehmen wir Stoffe in uns auf, die im Prozess der Absonderung vollkommen umgewandelt werden müssen. Was geschieht eigentlich, so dass ein Stück Kartoffel zu einem lebenserhaltenden Prozess wird und der physischen Existenz dient?

In den drei ersten Prozessen nimmt der Körper etwas von außen auf, im vierten Prozess verwandelt er dieses und in den drei weiteren Prozessen gibt er etwas nach außen ab. Im Prozess der Erhaltung, des Wachstums und der Reproduktion werden innere Kräfte mobilisiert und dem Leben großzügig zur Verfügung gestellt.

„Denn von der Pflege und der Schulung der zwölf Sinne hängt die Verankerung des Ich im menschlichen Organismus ab, und von der Pflege der sieben Lebensprozesse hängt die Farbigkeit, die Vielgestaltigkeit der Seele ab.“

Die seelische Weite des erwachsenen Menschen steht in einer Relation zur leiblichen Grundlage, die in Kindheit und Jugend verankert wird, was wiederum dazu führt, dass der Erwachsene die Lebensprozesse in bewusste Lernprozesse verwandeln kann. Ein Buch, das in die Hand eines jeden Pädagogen gehört, der sich dem geheimnisvollen Zusammenhang zwischen Leben und Lernen nähern möchte.

Philipp Gelitz und Almuth Strehlow: Die sieben Lebensprozesse. Grundlagen und pädagogische Bedeutung in Elternhaus, Kindergarten und Schule. Verlag Freies Geistesleben, 2014.